Schëppe Siwen singen auf lëtzebuergesch. Die Luxemburger sehen die Einschränkungen als eigenen freiwilligen Beitrag zur Reduktion des Corinavirus und und nicht als aufgezwungene Maßnahme der Regierung. Für Schëppe Siwen trübt das ständige Informiert-Sein über Social-Media die klare Sicht auf die Coronakrise.
Dies ist der achte Beitrag in der Artikelserie über das Leben der Folkmusiker während der Coronakrise.
Wie erlebt ihr die aktuelle Situation in Luxemburg?
Die Situation ist recht übersichtlich in Luxemburg. Von politischer Seite herrscht eine überraschende Klarheit und Visibilität. Mehrmals pro Woche werden öffentliche Pressekonferenzen übertragen, wo die aktuellsten Zahlen, die neuesten Entwicklungen der medizinischen Infrastrukturen, eine Gesamtperspektive auf die Ausbreitung des Virus sowie die geplanten Unterstützungsmaßnahmen der Regierung vermittelt werden. Dennoch herrscht eine gewisse Panik unter den Menschen, die man auf den sozialen Medien aber auch bei Spaziergängen beobachten kann. Menschen blicken sich nicht in die Augen, wechseln die Straßenseite und vermeiden jeglichen sozialen Kontakt. Aus kreativer Sicht, gibt es mittlerweile zahlreiche Initiativen – die auch teils vom Kulturministerium subventioniert werden – um die Künstler und Musiker anhand verschiedener Möglichkeiten (z.B. virtuelle Konzerte oder Theaterlesungen) finanziell zu unterstützen. Dies begrüßen wir sehr.
Wie hat es für euch begonnen und was waren eure Gedanken?
Der erste Gedanke war „Ist dies wirklich notwendig?“ Der zweite Gedanke war „Kann man das gesellschaftliche Leben weltweit gleichzeitig stoppen?“ Und beides kann mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Wir selber waren am Anfang relativ sauer wegen den abgesagten Konzerten. Wir haben jetzt seit 10 Jahren jedes Jahr am 17. März St. Patrick’s Day (und gleichzeitig den Geburtstag unseres Drummers) mit einem Konzert gefeiert. Eine Tradition die für uns sehr wichtig geworden ist und die wir sehr ungern abgesagt haben. Aber hier geht es um mehr als um das eigene Wohlbefinden. In dieser Situation geht es darum, Leben zu schützen und eine weltweite Pandemie (wie die Pandemie, die durch die Spanische Grippe Anfang des 20. Jahrhunderts ausgelöst wurde) im Vorfeld einzudämmen.
Was hat sich für euch verändert?
Die Isolation belastet uns sehr. Der soziale Austausch, das gemeinsame Musizieren und einfach das Ausbrechen aus dem alltäglichen Trott fehlt uns enorm. Wir versuchen so gut es geht die Zeit kreativ rumzukriegen, sei es durch kleine Arbeiten im Eigenheim, durch Online-Weiterbildungskurse oder durch das vermehrte Üben der Instrumente, zum Leid oder zur Freude der Nachbarn. Als Musiker ist man wahrscheinlich eher dran gewöhnt, alleine zu üben und kennt die Isolation als Teil der Selbstdisziplinierung. Es fühlt sich aber anders an, wenn man dies nicht selber entscheiden kann, sondern sich fügen muss. Auf finanzieller Ebene mussten wir einige Projekte, die wir für 2020 geplant hatten absagen oder auf nähere Zukunft verschieben, da der Verlust der Konzerteinnahmen, bedingt durch die vermehrten Absagen, uns dies nicht mehr ermöglicht.
Wie durchsteht ihr die Krise?
Wir versuchen so gut es geht die Situation als freiwilligen Beitrag zur Reduktion des Problems zu sehen und nicht als aufgezwungene politische Maßnahme. Das hilft, dass die eigenen vier Wände nicht zum Gefängnis werden. Zudem hören und sehen wir uns täglich per Videokonferenz und versuchen dadurch den Mangel an sozialen Kontakten zu ersetzen. Wie wir das gemeinsame Musizieren per Videokonferenz hinkriegen wollen, haben wir noch nicht gelöst, aber wir werden weiter daran arbeiten. Der Großteil von uns hat darüber hinaus noch zusätzliche Einnahmequellen, deswegen trifft es uns nicht so hart wie andere Künstler und selbstständige Unternehmer.
Was beobachtet ihr im Alltag?
Der Alltag ist monotoner geworden, und doch haben wir gemerkt, dass eine gewisse Routine uns im alltäglichen Handeln Sicherheit gibt. Und sei es nur das Ritual der morgendlichen Tasse Kaffee und der Weg zum Balkon oder in den Garten bevor man sich an die Arbeit setzt. Man lernt mit sich selber klarzukommen und es fällt dem einen oder anderen auch auf, dass man in der alltäglichen Normalität eventuell nicht immer gut zu sich selber war. Man versucht auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und bekommt dabei Klarheit über das was einem guttut und was nicht. Uns ist auch aufgefallen, dass die neuen Medien und das ständige Informiert-Sein eine Illusion ist, da die Überfülle an Informationen die klare Sicht eher trübt als Klarheit verschafft.
Wo holt ihr euch Hilfe?
Auf psychologischer Ebene versuchen wir so gut wie möglich anhand von Videokonferenzen uns gegenseitig zu unterstützen. Wenn’s uns nicht gut geht, hilft es einerseits darüber zu sprechen aber andererseits bringt es auch viel in der Gruppe über komplett andere Themen zu blödeln, um so aus dem eigenen Hamsterrad der negativen Gedanken auszubrechen und dadurch wieder Raum für positive Zukunftsperspektiven zu lassen. Zusätzlich hierzu gibt es auch einige Anlaufstellen, wo psychologische Hilfe angeboten wird, auf die wir aber noch nicht zurückgreifen mussten. Aus finanzieller Sicht bleibt uns nichts Anderes übrig als darauf zu warten, dass die Krise abebbt und Groß-Events wieder stattfinden können. Wie sich dies auf die Kulturbranche auswirkt ist unklar. Bezieht man sich z.B. auf Berichte der Zeitzeugen über die Konsequenzen der Spanischen Grippe kann man davon ausgehen, dass es noch Jahre dauern könnte, bis die Angst der Menschen, sich kollektiv in großen Massen zu versammeln, ganz verschwunden ist. Bis dahin versuchen wir so gut es geht im Moment selber zu leben, um uns nicht von solch pessimistischen Zukunftsvisionen erdrücken zu lassen.
Was ängstigt euch?
Der Egoismus und die Habgier der Menschen, die durch die Angst noch weiter angetrieben werden. Aber dies ängstigt uns nicht erst jetzt, wobei es zurzeit noch viel offensichtlicher ist, weil keiner sich mehr zurückhält. Wir versuchen uns mit Leuten zu umgeben, die optimistisch sind und positiv in die Zukunft schauen, mit dem Blick auf die Kollektivität und nicht nur auf sich selber oder das unmittelbare Umfeld. Zusätzlich sorgen wir uns natürlich auch um unsere näheren Verwandten und unsere sozialen Kreise, da wir nicht genau wissen, wie der Virus sich entwickelt und wer es am Ende nicht überleben wird.
Was macht euch Mut?
Die Isolation hat dazu geführt, dass die Menschen kreativ geworden sind. Viele überdenken die Prioritäten in ihrem Leben und versuchen soweit es geht das Positive herauszuziehen. Das finden wir bemerkenswert, gerade weil für viele unserer selbstständigen Kollegen und Freunde (auch außerhalb des kreativen Bereiches) ihre ganze berufliche Existenz auf dem Spiel steht. Vielleicht bietet dies tatsächlich für Viele einen Neuanfang und darauf sind wir sehr gespannt.
Wem möchtet ihr Danke sagen?
Wir sagen Danke an jeden Einzelnen, der sich von dieser Krise nicht entmutigen lässt, selbst wenn man unproduktiv zuhause sitzt und nichts mit sich anfangen kann. Wir haben auch große Bewunderung für all diejenigen, die sich aktiv für die Bekämpfung des Virus oder für das Aufrechterhalten von sozialen und gesellschaftlichen Strukturen einsetzen. In solchen Situationen kann man Größe beweisen und wir ziehen unseren Hut vor jedem Einzelnen, der dies tut.
Wie ist euer Blick in die Zukunft?
Wir versuchen die Zukunft realistisch einzuschätzen. Wir glauben nicht, dass die Welt sich komplett ändern wird. Dafür sind die gesellschaftlichen Strukturen und die eigenen egoistischen Denkmuster viel zu stark verfestigt. Der Egoismus ist im Menschen verankert und wahrscheinlich auch überlebensnotwendig. Aber wir würden uns freuen, wenn der Egoismus auf die Kollektivität des Planeten projiziert werden würde, mit all seinen Lebensformen und Lebewesen. Dies beinhaltet, dass der Mensch nicht mehr als „Krönung der Schöpfung“, sondern als eher unbedeutend im Gesamtgeschehen zu betrachten ist. Wenn dieses Bewusstsein bei der Mehrheit der Bevölkerung ankommen würde, wäre schon ein riesiger Schritt in die von uns erwünschte Zukunft getan.