„Stormweere“ von Spilar: flämische Tradition lebendig

Bandfoto von "Spilar"

Mandoline, Mandola, Gitarren – auf dem Debütalbum „Stormweere“ der belgischen Band Spilar scheint alles zu schweben. Die Töne fliegen durch den Raum, während eine Stimme sehr nah bei Deinem Ohr singt. Du hörst eine merkwürdige Sprache. Sie wirkt vertraut und ist doch nicht zu verstehen. Folk.World erzählt Dir in dieser Kritik von Flandern, Christus und Beutezügen.

Brügge am Nachmittag

Im Laufe des Nachmittags verlassen die meisten Touristen die Stadt und in Brügge wird es still. Es ist niemand da, der den Belfried besteigen möchte. Es gibt keine Boote auf den Kanälen. Die Gassen haben sich geleert. Es scheint ein guter Moment zu sein, um dem Geist dieser alten Gemäuer auf die Spur zu kommen. Flieht da ein körperloser Schatten über das Kopfsteinpflaster? Hat sich die Gardine hinter dem Fenster bewegt? Spilar spielen den Soundtrack zu diesem Film: kristallklar, detailreich und gekonnt. Die Musiker haben sich auf die Suche nach der Vergangenheit ihrer Heimatregion gemacht.

Von Snaarmaarwaar zu Spilar

Spilar entstand aus einem Projekt des Power-Folk-Trios Snaarmaarwaar. Das Trio hatte sich für eine Jubiläumstour um mehrere Musiker verstärkt und spielte eine Reihe von flämischen Liedern. Alle hatten große Freude daran, die alte Musik neu zu arrangieren. So kamen sie auf die Idee zu einer zweiten Band, die aus dem Trio, einer Sängerin und einem Schlagzeuger besteht. Auf der Suche nach passenden Songs interessierten sich die Musiker immer mehr für die traditionelle Musik Flanderns. Das Album „Stormweere“ ist das Ergebnis dieser Arbeit.

Westflämisch

Die Musiker singen den größten Teil ihrer Lieder im westflämischen Dialekt. Westflämisch ist in Frankreich und den Niederlanden die Sprache einer Minderheit. In Westflandern wird es von einer Mehrheit als Umgangssprache gebraucht. Bei allen Unterschieden ist Westflämisch dem Niederländisch recht ähnlich. Man glaubt an manchen Stellen, man würde verstehen, was auf „Stormweere“ gesungen wird. Das kann allerdings zu Missverständnissen führen.

Album "Stormweere" von Spilar
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Die meisten Lieder auf „Stormweere“ haben einen traditionellen Hintergrund. Da ist der Folk-Klassiker „Roosendaal“: Drei Gauner begehen einen Überfall. Im und Anschluss feiern sie mit dem erbeuteten Geld in Antwerpen eine wilde Party, die einen Tag später am Galgen endet. Andere Lieder stammen aus der christlichen Tradition („Suver Maecht“, „Sterre“). Dann ist da der dunkle Jacques-Brel-Chanson: „Pourquoi faut-il que les hommes s’ennuient“. Die Musiker haben den Text ins Westflämische übertragen. Sie spielen es als „Pertank“ in einer wundervoll verwehten Version. Beinah zum Schluss kommt das berührende „Verdronken Land“. Wannes Van de Velde schrieb diesen Song über die Salzmarsch-Landschaft von Saeftinghe.

Zu schön?

„Stormweere“ wurde vom Gitarristen der Band, Jerome Geerinck, produziert. Und der Sound ist makellos. Mandoline, Mandola und Gitarre haben viel Raum, um sich zu entfalten. Die Gesangsstimmen klingen intim. Synthesizer spielen einfache Tonfolgen. In manchen der Lieder hört man ein treibendes Schlagzeug. Ich habe das Album zum ersten Mal beim Laufen im Park gehört. Die Musik ließ mich ein Stück vom Boden abheben. Sphärisch dürfte das richtige Wort sein. Unter Kopfhörern ist „Stormweere“ ein audiophiles Erlebnis.

Vielleicht findest Du es sogar ein bisschen zu schön. Jemandem, der räudigen Rock ˈnˈ Roll mag, würde ich das Album lieber nicht empfehlen. Das ist aber nicht das Problem. Die Frage ist eher, ob man mit dieser Produktion einen Zugang zu traditioneller flämischer Musik bekommt. Das Album klingt, als würde man die Tradition unter Glas betrachten. Es ist ein Spaziergang durch das menschenleere Brügge. In der Breidelstraat siehst Du nur die Schatten vergangener Zeiten. Die Musiker scheinen mir nicht in die Tradition eintauchen zu wollen. Die Band erforscht vielmehr die Vergangenheit. Dieser distanzierte Ansatz ist natürlich erlaubt. Die Kritik geht somit ein Stück ins Leere. Mir fehlen trotzdem die Gerüche: Parfüm, Blut und Dreck.

„Stormweere“ im Konzert

Es dürfte spannend werden, wenn Spilar ihr Album auf die Bühne bringen. Wer einen Auftritt der Band Snaarmaarwaar gesehen hat, weiß, dass die Musiker von der Studioversion ihrer Lieder erheblich abweichen. Wird das auch für Spilar gelten? Fällt die Distanz? Du kannst es herausfinden. Ab Ende August stehen einige Termine in Belgien an. Folk.World ist positiv gestimmt.


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