Es beginnt damit, dass in einem Café am linken Seine-Ufer in Paris eine Geige und ein Akkordeon spielen. Englisch sprechende Touristen sitzen an einem Tisch und trinken deutsches Bier. Jemand lacht laut. Ein hoher Ton der Geige fliegt fiepend durch den Raum. Der (arrogante) französische Kellner hebt eine Augenbraue.
Folk.World nimmt diese Szene zum Anlass für eine Folk Review des Albums „Schneewittchen und die siebte Zwergin“ von Patatras.
Bilder im Kopf
Wenn das Stück „Joli Coeur“ an Paris denken lässt, geht es bei „Schneewittchen und die siebte Zwergin“ bald weiter zu den zerklüfteten Küsten Asturiens. Wenig später stehst Du in Schweden am Zaun der Villa Kunterbunt. Im Anschluss siehst Du Dich mit tränennassen Augen zu Turlough OʼCarolans „Fanny Power“ über Irlands grüne Wiesen ziehen. Die Schafe wenden verwundert ihre Köpfe zu Dir um. Du bist inzwischen im Münsterland auf einer Bauernhochzeit. Und Du drehst dich im Kreis zum Klang von Geige und Akkordeon. Du tanzt!
Um Missverständnissen vorzubeugen, „Schneewittchen und die siebte Zwergin“ ist kein Konzeptalbum. Die Musikerinnen wollen Dich nicht auf eine musikalische Reise durch die schönsten Regionen Europas mitnehmen. Sie haben die Stücke nicht zu diesem Zweck ausgesucht. Die Auswahl auf „Schneewittchen und die siebte Zwergin“ ist durch das breite Interesse und den Spaß an der Musik bedingt. Die Bilder entstehen in Deinem Kopf, weil die Musik den Raum dafür bietet. Die Anspielungen auf bestimmte Orte oder Zeiten sind oft nicht so eindeutig. Deine Bilder werden anders aussehen als meine. Und dann kommt es noch darauf an, ob Du beim Hören die Namen der Stücke liest.
Brummen und Fiepen
„Schneewittchen und die siebte Zwergin“ enthält ausschließlich Instrumentalmusik. Es sind traditionelle Tänze, viele davon finden sich in der Sammlung Dahlhoff aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dann ist da Turlough OʼCarolans „Fanny Power“, das schon angesprochen wurde. Daneben gibt es die moderne Tradition von Christoph Pelgen und Cyril OʼDonoghue, aber auch ein Stück von Dagmar Scholz. Lustig wird es, wenn das „Lange Socken Menuett“ in die Melodie zu Pipi Langstrumpf übergeht. Großartig funktioniert die Kombination aus Christoph Pelgens „Winterwalzer“ und dem Volkslied „Wenn ich ein Vöglein wär“.
Auf dem Album „Schneewittchen und die siebte Zwergin“ macht das Entdecken Spaß. Du kannst das Album immer wieder hören und den Melodien von Geige und Akkordeon folgen. Die Melodien überlagern sich, umschlingen einander, manchmal eilt eine der anderen voraus. Plötzlich liegt unter allem ein Rhythmus, der bald verschwindet und wiederkommt. Die Arrangements auf „Schneewittchen und die siebte Zwergin“ sind eigenständig und ausgefeilt.
Patatras erweckt den Eindruck eines Kammerorchesters, doch Du hörst nur Geige und Akkordeon. Die Musikerinnen haben die meisten Stücke live im Studio eingespielt und sind mit wenigen Overdubs ausgekommen. Trotz der Bandbreite der musikalischen Einflüsse wirkt das Album wie aus einem Guss. Und was mir persönlich noch viel wichtiger ist: Die Musik klingt an keiner Stelle klinisch. Es quietscht und fiept. Es brummt. Es reibt sich.
Zwei von der Musikschule
Zu einer Folk Review auf Folk.World gehören einige biographische Angaben. Das Duo besteht aus Barbara Kranz und Steffi Budde. Die beiden haben Folk.World im Interview verraten, dass sie sich vor 35 Jahren an der Musikschule kennengelernt haben, an der sie heute lehren. Sie haben zusammen in der Folkrockband Celtic Brew gespielt und sind nach deren Auflösung bei Dancing Willow eingestiegen. Das Duo Patatras existiert seit 2017. Und nun kommt das Debütalbum.
Auf der Bühne
Folk.World würde „Schneewittchen und die siebte Zwergin“ nach dem Hören der CD gern im Konzert erleben, um Dir im Anschluss in einer weiteren Folk Review von dem Auftritt berichten zu können. Das lohnt sich schon deswegen, weil die Musikerinnen zwischen den Stücken einiges erzählen. Interessant dürfte die Ansage zu dem Stück „Schneewittchen und die siebte Zwergin“ sein. Folk.World wird sich wie alle anderen noch ein wenig gedulden müssen.
Bis dahin erzähle ich Dir meine Version davon, wie das Duo zu seinem Namen kam: Der (arrogante) französische Kellner in dem Café auf dem linken Seine-Ufer hatte beim Klang der fiependen Geige nicht die Augenbraue gehoben. Er drehte langsam den Kopf und rief laut: „Patatras!“
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